Die Schweiz braucht ein Update!

 

Redebeitrag zur Beiratssitzung «Digitale Schweiz» auf Einladung von Bundesrätin Baume-Schneider

 

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Die Schweiz steckt im «digitalen Stau». Die Gesellschaft steht vor einer wichtigen Frage: Wie soll die digitale Infrastruktur in der Verfassung verankert werden? Die Stiftung für direkte Demokratie schlägt ein Update des politischen Betriebssystems vor: mit einer Volksinitiative für eine zeitgemässe Verfassung.

Sehr geehrte Frau Bundesrätin, sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Ich erlaube mir, in der mir zur Verfügung stehenden Zeit eine vielleicht etwas höhere Flugbahn zu wählen. Denn auch bei der Volksabstimmung über die E-ID, die ich damals mit lanciert habe, ging es nicht primär um eine Gesetzesvorlage, sondern um eine staatspolitische Grundsatzfrage: Welche Rolle hat der Bund beim Aufbau und Betrieb einer digitalen Infrastruktur?

Erlauben Sie mir zum Einstieg eine kleine Anekdote. Bei uns zu Hause in der Stube liegt ein Exemplar der Bundesverfassung. Zum 175-Jahr-Jubiläum habe ich mir vorgenommen, öfter darin zu lesen. Eines Tages nahm mein 13-jähriger Sohn das Büchlein in die Hand. Er fragte mich, was darin stehe. Um sein Interesse zu wecken, sagte ich ihm: «Das ist wie das Betriebssystem der Schweiz - ohne das läuft nichts.»

Er wurde neugierig. Gemeinsam blätterten wir das Inhaltsverzeichnis durch, von A wie Alter bis Z wie Zweitwohnungen. «Jetzt will ich etwas nachschlagen», sagte mein Sohn plötzlich. «Internet!» Zu seiner Enttäuschung steht dazu nichts in der Verfassung. Wenn in der Verfassung von «Netzen» die Rede ist, geht es um Eisenbahnen, Nationalstrassen oder Wanderwege.

Betriebssystem ohne Internet?

Eine Verfassung ohne Internet? Das ist für eine Generation, die mit dem Smartphone aufgewachsen ist, schwer nachvollziehbar. Zu Recht: Wichtige Antworten fehlen in unserer Verfassung: Wer stellt die digitale Infrastruktur bereit? Wer darf sie wie nutzen? Wer sorgt für die Sicherheit?

Solche Fragen zu beantworten, ist heute kein «nice to have» mehr. Das neue eID-Gesetz zeigt, was passiert, wenn sie fehlen. Das Gesetz stützt sich auf Artikel 81 der Bundesverfassung. Darin geht es um «öffentliche Werke». Diese kann der Bund bauen, betreiben oder unterstützen. Die Anwendung auf die digitale Infrastruktur ist kreativ. Sie vermeidet aber eine politische Grundsatzdiskussion. Und eine Grundsatzdebatte und vor allem Richtungsentscheidungen brauchen wir, wenn es um die Digitalisierung geht.

Ausweg aus dem digitalen Stau

Heute sind wir in einen digitalen Stau geraten. Was würden Sie, sehr geehrte Frau Bundesrätin, sehr geehrte Anwesende, auf die Frage antworten: Wie lange wird es dauern, bis die grossen Themen der Digitalisierung in unserer Verfassung verankert sind? Würde das 10, 20 oder noch mehr Jahre dauern? Ich glaube, das wäre nicht nur für meinen Sohn eine Ewigkeit. Das wäre auch für die Schweiz ein No-Go.

Glücklicherweise ermöglicht die Bundesverfassung eine Aktualisierung: Artikel 138 erlaubt eine Totalrevision. Die Stiftung für direkte Demokratie ist zusammen mit anderen Organisationen damit beschäftigt, eine solche Volksinitiative für eine zeitgemässe Bundesverfassung vorzubereiten. Die Lancierung ist für Mai 2024 geplant. Für uns ist die Totalrevision eine Chance zur Weiterentwicklung und zum Ausbau unserer Demokratie. Beispielsweise mit der Einführung von Zukunftsräten, die das Parlament ergänzen.

Zeit für eine Aktualisierung

Hinter der Update-Initiative stehen auch meine Erfahrungen aus dem eID-Referendum. Es ist uns gelungen, das von der Zivilgesellschaft getragene Referendum zu einer Richtungsentscheidung zu machen und einen konstruktiven Vorschlag einzubringen. Deshalb bin ich überzeugt: Die Zeit ist reif, nicht nur über einzelne Aspekte der Digitalisierung zu sprechen, sondern über das grosse Ganze: ein Update unseres Betriebssystems.

Dafür braucht die Schweiz eine steile Lernkurve - in Verwaltung, Parlament und auch in der Bevölkerung. Weil wir wissen: Viele Richtungsentscheide fallen letztlich an der Urne. Und deshalb ist die politische Grundsatzdebatte gefragt. Und zwar über konkrete Themen. Beispielsweise darüber, wie «Internet», stellvertretend für digitale Infrastruktur, in unsere Verfassung kommt.

Rede-Manuskript Daniel Graf, Stiftungsrat
Stiftung für direkte Demokratie
Beiratstreffen Digitale Schweiz
Vorsitz: Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider
20. November 2023, 13:30 - 15:00 Uhr, Bernerhof, Bern
Teilnehmer:innen-Liste | Programm | Medienmitteilung EJPD

 

Stiftung für direkte Demokratie

Die erste Crowd-Stiftung der Schweiz

Die Stiftung fördert die politische Partizipation der Bevölkerung und unterstützt zivilgesellschaftliche Projekte, welche sich für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung und Nachhaltigkeit einsetzen.

Gegründet 2020 als Stiftungsfonds unter dem Dach von Fondations des Fondateurs, gewährleistet die Stiftung den Betrieb der Demokratie-Plattform WeCollect und stellt digitale Werkzeug für die Lancierung von Initiativen und Referenden kostenlos zur Verfügung.

Als erste Crowd-Stiftung der Schweiz steht sie auf den Schultern einer wachsenden Community von engagierten Bürger:innen. Sie finanziert die laufenden Projektarbeit durch Spenden und Gönnerschaften.

 

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