Der Musiker Fabian Gisler ist Mit-Initiator der Basler Musikvielfalts-Initiative. Deren Initiant:innen kämpfen für eine Verteilung der Musik-Fördergelder, die freischaffende Musiker:innen angemessen berücksichtigt. Denn nur eine diverse Förderung gewährleistet, dass möglichst viele Menschen am Kulturschaffen teilhaben können. Im Interview erzählt er über seine Erfahrungen als frischgebackener Politaktivist.
Interview: Simone Wasmann, Foto: Gaspard Weissheimer
Fabian, du bist Musiker. Wie kommt es, dass du eine Initiative lanciert hast?
Als Musiker und durch meine Arbeit für eine Kulturstiftung kenne ich die Arbeits- und Lebensbedingungen von freischaffenden Musiker:innen bestens. Gleichzeitig sehe ich im Jahresbericht der Kulturabteilung Basel-Stadt ein Kuchendiagramm, das die Verteilung der Fördergelder wiedergibt. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht: Irgendwas stimmt da doch nicht.
Was stimmt denn deiner Meinung nach nicht?
Der Kanton Basel-Stadt verteilt jährlich 15 Mio. Franken für die Musikförderung. Angesichts des heutigen Verteilschlüssels frage ich mich aber, ob die Politiker:innen die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung kennen. Das Kulturfördergesetz verlangt nämlich Vielfalt und Teilhabe. Die Musikförderung ist aber extrem einseitig geregelt: seit mehr als 30 Jahren gehen über 90 Prozent an die gleichen Orchester.
Was muss sich eurer Meinung nach tun?
Unser Anspruch ist es, diesen Status Quo aufzubrechen und die Verteilung der Gelder grundlegend zu diskutieren.
Warum hält sich denn der aktuelle Status Quo seit 30 Jahren?
Veränderung kann den Verlust von Privilegien bedeuten. In diesem Sinne wurde − vor allem von denjenigen, die von der heutigen Situation profitieren − erfolgreich das Narrativ bedient, Veränderung bedeute zwingend auch den Abbau von Fördergeldern. Veränderung kann aber auch einen Umbau oder Ausbau meinen. Diversität in der Kulturförderung heisst für uns Initiant:innen schlussendlich: entweder gibt es mehr Geld oder die gleichen Gelder müssen künftig so verteilt werden, dass die Verteilung den aktuellen Verhältnissen besser entspricht.
Und um dieses Ziel zu erreichen, habt ihr in einem ersten Schritt eine Initiative lanciert?
Nein, wir hatten vorher schon das Gespräch mit Politik und Verwaltung gesucht. Und alle fanden es immer ein wichtiges Anliegen. Passiert ist trotzdem wenig. Das hat sich mit der Ankündigung der Initiative schlagartig geändert. Ab dann waren wir definitiv ernstzunehmende Gesprächspartner:innen.
Es geht euch aber offenbar nicht nur darum, die Kulturfördergelder gerechter zu verteilen?
Nein, unsere Arbeit bringt noch viel mehr ins Rollen. Anfangs dachten wir, wir hätten ein Kulturanliegen. Doch uns wurde rasch klar, dass es eine gesellschaftspolitische Frage ist, wessen Interessen und Bedürfnisse berücksichtigt werden.
«Kultur schafft Begegnungen, Austausch und Zusammenhalt. Die Kulturförderung ist dafür da, Vielfalt zu garantieren.»
– Fabian Gisler
Eine Initiative zu stemmen ist ein Marathon. Der Prozess ist sehr langwierig und kräftezehrend. Wie steht es um deine Kondition?
Hartnäckig und ausdauernd war ich schon immer. Klar ist es anstrengend, aber es ist auch interessant und macht Spass, die eigene Komfortzone zu verlassen. Das ist auch das, was ich aus der Musik und allgemein der «Kultur» kenne und schätze.
In Basel-Stadt müssen für eine erfolgreiche Einreichung 3000 Unterschriften in 18 Monaten zusammenkommen. Ihr habt in weniger als drei Monaten über 4000 Unterschriften gesammelt. Warum wart ihr so schnell?
Es haben einfach alle unterschrieben! Ich habe mehrere hundert Personen angefragt und davon haben nur zwei nicht unterschrieben. Die Leute verstehen nicht, warum über 90 Prozent der Gelder an Orchester gehen sollen.
Was hat dieses Initiativprojekt bei dir persönlich und in deinem Umfeld ausgelöst?
Es ist eine Herausforderung, gerade auch zeitlich. Ich bin zu einem grossen Teil Hausmann und Vater von drei Kindern. Meine Frau arbeitet 100 Prozent. Ich arbeite sehr viel am Tag, wenn die Kinder in der Schule sind und am Abend, wenn sie im Bett sind. Und dann will ich ja auch noch Musik machen.
«Die Sammelerfahrung war sehr cool. Ich hatte das noch nie gemacht, kann es aber allen nur empfehlen, obwohl es streng ist und mit der Zeit etwas zehrt.»
– Fabian Gisler
Was sind jetzt die nächsten Schritte?
Wir wollen die Datenlage zu Konsum, Angebot und Nachfrage verbessern. Uns geht es darum, festzustellen, was die effektiven Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung sind. Dazu arbeiten wir mit den Forscher:innen Dr. rer. publ. Fabienne Liechti (Ecoplan), Prof. Dr. Manfred Max Bergman (Universität Basel) und Dr. Wendelin Moser an einer entsprechenden Studie.
Und politisch?
Die Regierung hat nun ein halbes Jahr Zeit für die Berichterstattung. Dann geht es richtig los mit der Debatte im Parlament. Trotz Widerständen haben wir bereits einiges angestossen. Zum Beispiel ändert sich die Sprache in Verwaltung und Politik, unsere Wordings fliessen ein.
Was würdest du jemandem auf den Weg geben, der eine Initiative lancieren will?
Die Wegleitung im Netz ist deutlich und klingt sehr nach: Auch Du kannst das machen. Aber so einfach ist es nicht. Es braucht Feuer, Nerven und Ausdauer. Zudem ist es wichtig, für sich persönlich zu wissen, dass man für das Richtige brennt, auch wenn das sehr subjektiv ist − das hilft nämlich, um auch bei grossem Widerstand auf dem Weg zu bleiben.
In Rekordzeit eingereicht: Die Musikvielfalts-Initiative
Der Kanton Basel-Stadt muss laut Kulturfördergesetz für ein vielfältiges Musikangebot sorgen. Von den rund 15 Mio. staatlichen Fördermitteln gehen jedoch über 14.5 Mio. an Institutionen. Für das freie Musikschaffen verbleiben knapp 400’000.
96 Prozent für Institutionen, 4 Prozent für rund 800 Freischaffende (inkl. Veranstaltende und Spielstätten), die dafür sorgen, dass es in Basel nebst klassischer Musik auch Electronica, Hip-Hop, Jazz, Pop und Rock etc. zu hören gibt.
Die Initiativnehmer:innen der Musikvielfalts-Initiative wollen, dass Kultur für alle da ist. In ihren Augen braucht es eine demokratische Kulturförderung, welche die vielfältigen Interessen der Bevölkerung berücksichtigt und widerspiegelt. Deshalb soll die Stadt Basel das freie, nicht-institutionelle Musikschaffen künftig mit mindestens einem Drittel des jährlichen Musikbudgets fördern. Der Entscheid, ob dies durch eine Umverteilung oder eine Erhöhung des Förderbudgets geschieht, liegt bei der Politik.
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